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Thurgauer Most

 

 

 


 

 

Des Apfels Kern

"Mostindien ist zu einer Provinz des Weltreiches Cocacolien verkommen", klagt Ernst Nägeli im Thurgauer Jahrbuch 2000. Wirklich?  Wer kurz vor der Apfelerntezeit durch den Thurgau fährt, gewinnt einen anderen Eindruck. Die Äste der Bäume biegen sich vor Früchten. Hagelnetze sind vorsorglich gespannt, nachdem 2000 und 2001  50% der Obsternte den Eiskörnern zum Opfer fiel. Mostereien und Beizen locken mit Apfelsaft und -wein, auf den Wiesen stolpert man übers Fallobst.

Verdient Mostindien seinen Spitznamen noch immer, und was bedeutet der Apfelanbau für die Bodenseeregion? Was macht den Apfel zum König unter den Früchten", wie Klaus Widemann es nennt, Geschäftsführer der Lindauer Bodensee-Fruchtsäfte GmbH? Wer sind die Menschen, die dafür sorgen, dass wir unsere Äpfel nicht mehr aus Nachbars Garten klauen oder gar selbst pflanzen, pflegen und pflücken müssen?

 

Sinnbild der Liebe und Fruchtbarkeit

Äpfel gibt es auf der ganzen Welt. Sie gelten als Sinnbild der Liebe, Fruchtbarkeit, Jugend und Schönheit. In seinem Artikel  „Seit über 4000 Jahren Apfelanbau am Bodensee“ schreibt Klaus Widemann: "Er begleitet uns praktisch seit Beginn der Menschheitsgeschichte und er steht auch am Anfang der christlichen Mythologie, wo die erste Apfelverkostung durch Adam 

bekanntlich fatale Folgen hatte und mit der Vertreibung aus dem Paradies endete.

Ansonsten verbinden sich mit dem Apfel jedoch durchwegs positive Assoziationen, und keine andere Frucht hat größere Symbolkraft erlangt. Um den Apfel ging es bei der ersten überlieferten Schöheitskonkurrenz in der Mensch- heitsgeschichte, dem Urteil des Paris in der griechischen Sagenwelt. Seit dem 12. Jahrhundert gehörte der Reichsapfel zu den Insignien der Macht. Und

Schillers ,Wilhelm Tell' kann man sich ohne den Apfel kaum vorstellen. In der Moderne begegnet uns die biblische Frucht im täglichen Sprachgebrauch als Aug- oder Zankapfel, als Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt oder in den man gelegentlich beißen muss, auch wenn er sauer ist, Eines der größten Computerunternehmen der Welt hat den Apfel zu seinem Markenzeichen gemacht, und die New Yorker nennen das Herzstück Manhattan liebevoll

„the big apple".

 

Und gesund ist er auch, wie Widemann weiter erklärt: "An apple a day keeps the doctor away", sagen die Engländer mit Recht, denn er "reduziert das Gewicht, reguliert den Stoffwechsel, senkt den Cholesterinspiegel, saniert den Darm und beugt dem Herzinfarkt vor."

Also alles Apfel, oder was? "Mostindien" nannte der Solothurner Maler und Karikaturist Martin Disteli im 19. Jahrhundert den Thurgau; der DuMont Bodensee erklärt den Namen mit der dreieckigen, an Indien erinnernden Form des Kantons. Jeder dritte Tafelapfel, der in der Schweiz gegessen wird, stammt aus dem Thurgau, jährlich ernten die Schweizer Bauern 96000 Tonnen Tafel- und Mostäpfel, 2200 Bauernbetriebe bewirtschaften Plantagen- und Hochstammobst.

Die trockenen Zahlen verdaut leichter, wer in den süßen Apfel beißt und den Altnauer Obstlehrpfad begeht, auf Schusters Rappen, mit Pferdekutschen oder mit dem Drahtesel. "Dem Konsumenten soll aufgezeigt werden, was es braucht, bis Obst im Laden zum Verkauf ausliegt, um so das gegenseitige Verständnis zwischen nicht- landwirtschaftlicher und landwirtschaftlicher Bevölkerung zu fördern." Nach den neun Kilometern ist man erschöpft und schlauer geworden. Wussten Sie, dass die Eidgenossen pro Kopf jährlich 30 Kilo Äpfel verzehren und dass man 10 000 Apfelkerne braucht, um eine neue Sorte zu züchten?

Streuobstwiesen versus Apfelplantagen

Werden im Frühjahr immer gern fotografiert: Wiesen, übersät mit großen hohen blühenden Obstbäumen. Das ist Streuobstanbau. Weniger romantisch ausgedrückt: Hochstamm-Obstbau ohne Einsatz synthetischer Behandlungsmittel. Das macht viel Arbeit und ist nicht ganz ungefährlich, da man beim Pflücken von der Leiter fallen kann. Keine Leitern braucht man beim Plantagenobst, denn das wächst praktisch auf Mundhöhe. Weshalb macht sich dann überhaupt noch jemand die Arbeit, auf hohe Bäume zu klettern zum Ernten und Pflegen? Nicht nur, weil es schöner aussieht als die in soldatischen Reihen gezogenen Plantagenbäumchen. Streuobstwiesen und -bäume gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas, Pflanzen und Tiere aus über 5000 Arten leben und lieben und ver- mehren sich darin. Fledermäuse finden Unterschlupf, und Vögel brüten, vom Wiedehopf über den Steinkautz, den Rotkopfwürger, den Mäusebussard und den Wendehals [den gefiederten ...). Und dennoch: In der Region Bodensee- Oberschwaben wurden innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte bis zu 80 Prozent aller Streuobstbäume gerodet, um Baugebieten, Straßen und einer intensiven Landwirtschaft zu weichen. In der Schweiz sieht es ähnlich aus. Mit den Streuobstwiesen sind auch dreiviertel der einst vorhandenen Obstsorten verschwunden.

Die Obstsortensammlung Roggwil bei Arbon nimmt das nicht hin. Sie sucht alte Obstsorten und hat bereits 320 Hochstammbäume gesetzt. Champagner Reinette, Edelchrüsler, Pfaffenapfel, geflammter Kardinal, Muoler Rosen -klingende Namen, die ohne engagierte Pomologen, wie man die Apfelexperten nennt, vielleicht schon gestorben und vergessen wären.

Einer davon ist ***Hans-Rudolf Schweizer im Kanton Thurgau in Neukirch an der Thur, Apfelbauer aus Leidenschaft. Er bietet Obstbaumpatenschaften an. Die Paten zahlen Anschaffungs- und Pflegekosten, Hans-Rudolf Schweizer pflanzt und pflegt den Baum, Dafür erhält man den Obstertrag und "das Recht, sich jederzeit nach dem Befinden des Baumes zu erkundigen". Sein Arboretum umfasst 200 altes Sorten, und wenn er über fast jeden Baum erzählt, über Besonderheiten und Geschichte und die Krankheiten, denkt man schon mal, es ginge um seine Kinder, Mit Sitz auf der deutschen Seeseite engagiert sich die "Intertnationale Interessengemeinschaft Obsthochstamm rund um den Bodensee e. V,". Siegfried Tann, Landrat des Bodenseekreises und Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft: "In den fünfziger Jahren gab es etwa eine Million Hochstämme, heute sind es noch 250.000: Diese Entwicklung möchten wir aufhalten und gehen von zwei Seiten her an: durch Neupflanzungen und durch die Pflege der alten Bäume."

 

..Moscht müends eim geh"

[Spruch auf einem Ziergefäß im Museum der Mosterei Möhl: ..Most muss man ihm geben.".]

Weil Streuobstäpfel in Form, Farbe, Größe und Geschmack sehr vielfältig sind und in der Regel nicht dem EU-Standardmusterapfel entsprechen, eignen sie sich bestens für abwechslungsreichen Saft. Für Mostobst erhalten die Bäuerinnen jedoch zu wenig Geld für das arbeitsaufwändige Bewirtschaften der Streuobstwiesen, Deshalb sind Streuobstwiesen unrentabel, sie kommen weg. Das zu verhindern und den Streuobstanbau wirtschaftlich zu machen, darum bemühen sich u.a. das Apfelsaftprojekt Markdorf und das des Modellprojektes Konstanz. Das Prinzip ist einfach: Die Keltereien kaufen Streuobst für einen saisonunabhängigen Festpreis, Daraus pressen sie naturtrüben Apfelsaft, ohne Konzentrat, Zuckerzusatz oder Konservierungsstoffe, den man im Lebensmitteleinzelhandel und in Getränkemärkten kaufen kann. Die Bauern verpflichten sich dafür, ihre Hochstämme nicht zu spritzen und überalterte Bäume zu ersetzen.

Auch bei der Mosterei Möhl in Arbon sprudelt der Saft, sogar kostenlos aus zwei Fässern, und weil er so gut schmeckt, deckt man sich danach im Laden gerne mit Nachschub ein. Da die Konsumenten aber in den vergangenen Jahren den gewöhnlichen Saft verschmähten und lieber zu einem amerikanischen braunen Dickmacher griffen, tüftelte Möhl den Swizly aus, eine Mischung aus Apfelwein, -saft und Holunderblütensirup, ..SwappeL" und Shorley" folgten und die ..Cuvee Jean-Georges", Was das ist? Bitte selbst probieren!

Bei der ..Collection obi" der Thurella AG in Egnach findet jeder den Apfelsaft sei nes Vertrauens, aus Hochstamm- oder Plantagenobst, mit oder ohne Koh- lensäure, wilde Mischungen. Die "Collection Rittergold" ist das Pendant beim Apfelwein.

Hans-Rudolf Schweizer bewirtschaftet einen Landwirtschaftsbetrieb im Thurgauischen Neukirch an der Thur. Seine grosse Leidenschaft gilt seinem Hochstammobstgarten. Das Obst wird wird in der benachbarten Mosterei Gamper verarbeitet. Seine Sortenvielfalt ist weit über die Landesgrenze bekannt. Die Ausführlichen Führungen durch den Obstgarten sind eine interssante Bereicherung.

Unter www.hr-schweizer.ch ist die Sortenvielfalt umfangreich beschrieben.


 

Der Bericht und das Bild wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt:

 Text: Anja Böhme, www.aufdenpunktgebracht.com 

Foto: Aljoscha Triendl, www.atriendl.de 

 

 

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